by Wolfgang Gründinger
Published on: Oct 7, 2005
Topic:
Type: Opinions

Nach dem Kollaps des Sowjetkommunismus und dem Ende des Kalten Krieges hoffte die Menschheit auf eine bessere Welt. Es schien nicht mehr nötig, Milliarden für Waffen und Rüstung zu verschwenden. Mit einer Friedensdividende sollte die Armut bekämpft und die Umwelt geschützt werden.

Auf dem Erdgipfel 1992 in Rio de Janeiro läuteten die Vereinten Nationen die Wende ein. Nachhaltige Entwicklung („sustainable development“) sollte an die Stelle des Rüstungswettlaufs treten. Die Weltkommission für Umwelt und Entwicklung, die Brundtland-Kommission, sah eine Entwicklung kommen, welche „die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.“ Eine solche nachhaltige Entwicklung erfordere, „die Grundbedürfnisse aller zu befriedigen und für alle die Möglichkeit zu schaffen, ihren Wunsch nach einem besseren Leben zu befriedigen.“ Man war überzeugt, schon bald eine friedliche, gerechte und ökologisch zukunftsfähige Welt schaffen zu können. Mit der Agenda 21, als Aktionsprogramm für das 21. Jahrhundert in Rio beschlossen, erhoben die Regierungen der Welt diese nachhaltige Entwicklung zu ihrem zentralen Ziel, und verkündeten feierlich eine neue Ära der Zusammenarbeit.

Die soziale Gerechtigkeit in Westeuropa sollte sich zusammen mit der marktwirtschaftlichen Ordnung, der Demokratie und dem gerade entwickelten ökologischen Bewusstsein in der ganzen Welt ausdehnen. Neue Zeiten schienen anzubrechen, der erwartete weltweite Massenwohlstand schien das „Ende der Geschichte“ zu besiegeln.

Doch dann kam alles anders, als man dachte und hoffte. Denn indem die ehemaligen Ostblockstaaten Marktwirtschaften wurden, verloren sie ihre Abschreckung für das Kapital, das hier wenig Vorschriften, niedrige Löhne und geringe Steuern vorfand und keine Angst mehr zu haben brauchte, verstaatlicht zu werden. Gleichzeitig galten plötzlich Deutschland oder Schweden, bisher Horte der sozialen Sicherheit, als überregulierte Hochsteuer- und Hochlohnländer verbohrter Sozialromantiker. Die Politik fürchtete um Wohlstand und Wählerstimmen und übernahm bald die Jammerrufe der Wirtschaftslobbyisten.

Nun war es aus mit Öko- und Sozialidylle. Die Rettung der Welt wurde vertagt. Das erstarkte marktliberale Bewusstsein verteufelte fortan alles, was den Unternehmer ärgern könnte. Deregulierung wurde zum Lieblingswort der Politik, Anzugträger anstelle von Arbeitern zu den neuen „Leistungsträgern“ der Gesellschaft gekürt, Steuern auf Unternehmensgewinne und Vermögen wurden wettlaufartig gesenkt und die Ideologie des totalen Marktes zur alternativlosen „Reichsreligion“ (Carl Amery) erhoben, mit der die Welt missioniert werden sollte.

Im Jahre 2000 beschlossen die Staatschefs der Welt - wieder einmal - die Armut zu bekämpfen, das erste Mal allerdings mit einem konkreten Zeitplan: bis zum Jahr 2015 sollte die Armut weltweit halbiert sein. Man gab sich acht konkrete Zielvorgaben, die "Millennium Development Goals".

Zehn Jahre nach Rio und zwei Jahre nach dem Millennium-Gipfel zogen die Vereinten Nationen beim Weltnachhaltigkeitsgipfel in Johannesburg – der größten Konferenz der Menschheitsgeschichte – eine traurige Bilanz: Die Friedensdividende ist ausgefallen. Die globale Massenarmut ist nicht gelindert, die Welt gerät in einen Zustand globaler Apartheid. Die weltweite Umweltkrise hat sich noch verschärft. Die Aufbruchsstimmung ist verflogen. Man verhandelt lieber als fair zu handeln.

Das blinde Vertrauen auf den freien Markt, der schon alles richten wird, ist ein lebensgefährlicher Irrtum. Die Hand des Marktes ist unsichtbar und kann daher ungehindert Mensch und Natur an der Kehle packen und ausbeuten. Die sichtbare Hand des Staates muss eingreifen, um dem Kapitalismus Zügel anzulegen und einen Kapitalismus mit menschlichem Antlitz zu schaffen. Mit der Expansion des ungezügelten Kapitalismus in die ganze Welt wird die Belastbarkeit des Ökosystem gesprengt. Der Markt ist nicht aus sichheraus nachhaltig, er muss erst nachhaltig gemacht werden.

Wir stehen am Scheideweg: den fatalen Kurs der gegenwärtigen Weltwirtschaftsordnung fortzusetzen, oder aber die Agenda 21 umzusetzen – hin zu einer globalen ökosozialen Marktwirtschaft. Für den letzteren, balancierten Weg kämpft die Global Marshall Plan Initiative, der auch YOIS als einzig existierendes internationales Jugend-Nachhaltigkeitsnetzwerk seit der Gründung der Initiative vor zwei Jahren angehört (www.globalmarshallplan.org).

Ein solcher Weltmarshallplan würde als Kernelemente erstens eine Art Co-Finanzierung nach dem Vorbild des EU-Erweiterungsprozesses beinhalten, die dem Süden ökologische und soziale Standards auferlegt und im Gegenzug den Norden zur Co-Finanzierung dieser Standards verpflichtet; zweitens würde sie Weltverträge erfordern, die die globale Umweltbelastung begrenzen und Norden wie Süden zu einem ökologischen Strukturanpassungsprogramm drängen.

Der breite Unterstützerkreis dieses Vorhabens – von Heiner Geißler und Rita Süßmuth bis Hans-Dietrich Genscher und Ernst Ulrich von Weizsäcker – zeigt, dass eine globale ökosoziale Marktwirtschaft nicht fernab der Realität, sondern in der Tat die einzig realistische Option ist, wenn wir nicht jede Hoffnung auf eine nachhaltige Entwicklung und ein würdiges Leben kommender Generationen aufgegeben haben. Die Globalisierung nachhaltig zu gestalten vermag einzig und allein ein Balanced Way.


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