by Karsten Wenzlaff | |
Published on: Apr 4, 2005 | |
Topic: | |
Type: Opinions | |
https://www.tigweb.org/express/panorama/article.html?ContentID=5340 | |
Wie kommt es eigentlich, dass bei Naturkatastrophen insbesondere arme Menschen viel mehr Geld spenden als Höherverdienende? Wie kommt es eigentlich, dass auch sehr reiche Menschen von sich behaupten, sie wären arm dran? Das ist auf ein ganz einfaches Phänomen zurückzuführen: Armut ist immer relativ. Man definiert sich als reich oder arm in Abhängigkeit von der sozialen Gruppe, in der man lebt. Diese recht triviale Aussage hat eigenartige Konsequenzen Am harmlosesten ist es, wenn Deutsche aus dem Urlaub in aller Welt zurückkommen und sich darüber freuen, wie viel der Euro (oder früher die D-Mark) dort wert waren. Wer hier nur wenig verdient, kann in einigen Ländern viel kaufen, schön und gut. Oft wird von deutschen Touristen oder Deutschen, die längere Zeit im Ausland gelebt haben, auch immer betont, wie dienstleistungsfreudig diese Länder sind und dass Deutschland eine Dienstleistungswüste wäre. Bei genauerem Nachdenken müsste einem aber klar werden, dass dies meist nicht in unterschiedlicher Mentalität begründet liegt, sondern schlichtweg im Einkommensgefälle. Zuviel sozialer Ausgleich macht arm zuwenig sozialer Ausgleich macht auch arm Es ist eine ethische und eine politische Frage, ob man Einkommensgefälle in einer Gesellschaft zulassen soll oder nicht. Ohne näher darauf einzugehen, welche gesellschaftlichen Gründe den existierenden Einkommensunterschieden zugrunde liegen, ist eine zentrale Frage der Politik doch, wie viel sozialer Ausgleich eine Gesellschaft vornehmen sollte. Im derzeitigen Gesellschaftssystem ist es zumindest so, dass Menschen, die für viele andere Menschen wichtig sind, mehr Einkommen verlangen können. Ob das gerecht ist oder ob das so sein sollte, das ist eine andere Frage. Offensichtlich ist es aber derzeit so, dass zum Beispiel Ärzte, Berufsfußballspieler, Fernsehmoderatoren und Unternehmensvorstände gesamtgesellschaftlich durchsetzen können, proportional mehr zu verdienen. Es ist eine institutionenökonomische Tautologie, dass Gesellschaften in Pfadabhängigkeiten geraten, die dazu führen, dass trotz hoher Kosten eingeschlagene Wege nicht mehr verlassen werden. Wenn nun aber eine Gesellschaft sich entscheidet, keinerlei soziale Umverteilung vorzunehmen, führt das dazu, dass bestimmte Gesellschaftsschichten immer größere Anteile am Einkommen durchsetzen können. Prof. Radermacher, einer der Initiatoren der Global Marschall Plan Initiative, führt aus: „Es ist der Kern der subkutan-marktfundamentalistischen Propaganda, dass freie Märkte das höchste Wachstum erzeugen und das immer mehr Umverteilung von unten nach oben, immer mehr Deregulierung […] und eine Politik des sozialen Rückbaus deshalb für alle Länder der attraktive Weg sei, reich(er) zu werden.“ Andererseits, wenn eine Gesellschaft sich entscheidet, zuviel soziale Umverteilung vorzunehmen, dann ist das auch nicht gut. „Die Menschen sind höchst unterschiedlich, sowohl in dem was sie wollen und in dem was sie leisten können. Wenn man nun eine Gleichheit mit Gewalt durchzusetzen versucht, dann reduziert man die Freiheit des einzelnen und die Motivation aller Betroffenen auf ein Maß, bei dem alle letztlich miteinander so wenig hervorbringen, dass bei diesem Regime selbst die Ärmsten unzufrieden sind.“, so Prof. Radermacher weiter. Die richtige Mischung liegt bei 65 Prozent Es kommt also auf den Grad der Umverteilung an. In der Terra 2000 Studie wird argumentiert, dass in fast allen „reichen“ Ländern, also den Ländern in Westeuropa, Skandinavien, Nordamerika und Australien, die reichsten 20% der Bevölkerung ca. 35% des Einkommens durchsetzen können, also proportional mehr verdienen. Den restlichen 80% der Bevölkerung bleiben dann noch ca. 65% des Einkommens. In ‚armen’ Ländern wie Brasilien sind die Einkommensunterschiede noch drastischer, da können die 20% reichsten Menschen der Bevölkerung ca. 65% des Einkommens akquirieren, den restlichen 80% der Bevölkerung bleibt nur noch 35%, die Einkommensverhältnisse sind also gerade umgekehrt. Das Dramatische an der globalen Situation ist aber, dass auf dem Globus die reichsten 20% der Bevölkerung 85% des Einkommens durchsetzen können, das heißt die Einkommensunterschiede sind noch deutlicher. Unser Globus ist vom Einkommen her, und nicht nur dort, außer Balance. Letzte Chance: 2015 Die Ausführungen oben sind den meisten Lesern im Kern sicherlich nicht neu. Die Lösungen dieses Problems allerdings sind sehr umstritten. Die Vereinten Nationen haben im Jahr 2000 acht Ziele festgelegt, die sie bis zum Jahr 2015 erreichen wollen. Diese Millennium Development Goals (MDGs) sind:
Aber schon jetzt wird deutlich, dass für das Erreichen der Millennium Development Goals die finanziellen Mittel fehlen, aber auch die institutionellen Voraussetzungen fehlen. Global Fight Club: Umwelt- vs Wirtschaftsministerium Auf der Welt gibt es eine kuriose Situation. Eigentlich sind alle Voraussetzungen für eine funktionierende, regulierte weltweite Marktwirtschaft gegeben, genau so wie auch die Marktwirtschaften in den Ländern der Erde meist reguliert werden: es gibt sowohl Standards für den Handel (WTO), für das Finanzwesen (IMF, Weltbank) und es gibt Vereinbarungen über Mindeststandards in der Produktion (sozialen Ziele der ILO, International Labour Organisation) sowie die Standards der internationalen Umweltabkommen. Das Problem ist, dass diese Standards untereinander konkurrieren, wenn also ein Land zum Beispiel entscheidet, auf ein bestimmtes Produkt ein Importverbot zu verhängen, weil es zum Beispiel mit Kinderarbeit gemacht (nach ILO-Standards verboten) worden ist, so kann es sein, dass es dafür sich innerhalb der WTO rechtfertigen muss. Stellt Euch vor, Renate Künast und Wolfgang Clement würden in Deutschland Gesetze in den Bundestag einbringen, nach denen ein und dieselbe Handlung legal nach dem einen und illegal nach dem anderen Gesetz wäre. Wir bräuchten also eine Verknüpfung der weltweiten Standards, nach WTO-Standard sollten nur die Produkte gehandelt werden, die auch den ILO-Standards entsprechen usw. Woher kriegen wir 105 Milliarden US-Dollar? Um die Millennium Development Goals bis 2015 zu erreichen, müssten nach diversen Studien jährlich 105 Milliarden US-Dollar von der Staatengemeinschaft aufgewendet werden. Das scheint viel, gerade wenn man bedenkt, dass die derzeitige Entwicklungshilfe nur knapp 56 Milliarden US-Dollar beträgt, was bei ca. 0,2% des BIPs der Geberländer liegt. Die notwendigen Mittel würden ca. 0,6% des BIPs der Geberländer ausmachen, wobei dies aber noch unter den eigentlich vereinbarten 0,7% liegen, welche die westlichen Länder für Entwicklungshilfe ausgeben wollen. Zum Vergleich: das Budget der EU liegt bei ca. 1% des BIPs der EU, der Marshall Plan nach dem zweiten Weltkrieg wurde mit ca. 1,4% des damaligen BIPs der USA finanziert. Finanziert werden könnte ein solches Finanzvolumen zum Beispiel durch eine sogenannte Terra-Abgabe auf den Welthandel in Höhe von ca. 0,5%, was aber die Endpreise nicht sonderlich erhöhen würde, weil die Welthandelsanteile im Preis eines Produkts nur einen sehr geringen Teil ausmachen. Benzin würde zum Beispiel mit so einer Terra-Abgabe um ca. 0,1 Cent pro Liter im Preis steigen. Zukunftschance für gemeinsames Handeln Die Global-Marshall-Plan-Initiative, die von Persönlichkeiten aus allen Parteien und den unterschiedlichsten Verbänden unterstützt wird, hat sich zum Ziel gesetzt, einen integrativen Ansatz für eine ökosoziale Marktwirtschaft zu entwickeln und dafür zu arbeiten, dass er auch umgesetzt wird. Ich persönlich engagiere mich für die Global-Marshall-Plan Initiative, weil ich glaube, dass nicht einzelne Maßnahmen, sondern lediglich aufeinander abgestimmte und gleichzeitig in Gang gesetzte Reformen wirksam sind. Nur wenn institutionelle Veränderungen zusammen mit den entsprechenden Finanzinstrumenten geschaffen werden, können die Millennium Development Goals verwirklicht werden. Der Global Marshall Plan Initiative, die organisatorisch von der Stiftung Weltvertrag in Hamburg vorangebracht wird, kann das erreichen, wenn sich Menschen dafür interessieren und sich dafür einsetzen. « return. |